Kulle1
‣ Varianten: Kule, Kulle
{russ. куль 'Sack'}
► QUELLEN
Gutzeit 1874, 114
Kule, die, Sack. s. Kulle
Gutzeit 1874, 114
Kulle, die, seltner Kull, der, 1) Matten-oder Bastsack, Sack aus Matten. In solchen Matten- oder Bastsäcken wird in Russland Mehl oder Getreide verführt. Mehlkullen u. Kullen. 172. 1784. 387; 83 Kullen verwraakte Grütze, 172. 1810; die Säcke oder Kullen (Mehl), 306. 78. — Wird Getraide in Kullen verladen, 143; eine Kulle oder Sack, 147. Jeder Bastsack hält 1 Tschetwert od. 3 Lof, an Gewicht 9 Pud. Daher: eine Kulle Mehl zu 9 Pud an Gewicht, 172. 1804. 670; neunpudige Kulen Mehl, 176, 1825. 89. Daher 2) das Maß Mehl oder Getreide, welches in solchem Sacke enthalten ist, nämlich 1 Tschetwert od. 3 Lof. Hup. — Dies russ. Wort scheint erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrh. bei uns Aufnahme gefunden zu haben. Das stammlose russ. Wort findet sich wieder in lat. culeus, Sack, in franz. colis, Ballen, in deutschem Keul, nl. Kuil, altn. Kyll u. a., Sack.
Gutzeit 1889a, 52
Kulle, die, Mattensack. Sallmann (390c. 53) schreibt Kule. In Riga stets Kulle gesprochen.
Seemann von Jesersky 1913, 141
Kulle Sack aus Lindenbast, Strusenme... (?)
Kiparsky 1936, 163
Kulle [kulə] f. 'Matten- oder Bastsack' ‹ r. куль id. - E.L.K. GUTZEIT II, 114, SALLMANN N. 53. Belegt seit 1784. - Opr. (Danzig, Elbing) kul f. 'grosser (unförmiger) Sack' könnte auf dem Handelswege aus dem Bd. übernommen sein, dagegen stammt das in der Fischereiordnung des Kurischen Haffes vom J. 1792 belegte Kulle 'Sack bei der Lachsfischerei' sicher aus p. kul 'Säckchen am Fischernetz'.
Kulle2
{estn. kuulma, kuule! 'hören, hör!'}
DAZU:
‣ vgl Kulline, siehe auch Anrede
► QUELLEN
Gutzeit 1874, 114
Kulle, der, scherzweise Benennung eines Esten, welche Gelegenheit gibt, einem Ausländer vorzuspiegeln, dass, da jeder mit Kulle angerufene Este auf den Anruf hört, jeder Este den Taufnamen Kulle führt. Denselben Scherz hat man mit Letten sich, durch das Wort Klauß (hör!) erlaubt.
Boehm 1904, Sp. 100
Ebenso selten sind in der Studentensprache Ausdrücke estnischer Herkunft. Allgemein gebräuchlich und zweifellos vom Studenten geprägt ist der Gattungsname Kulle für einen estnischen Bauer, insbesondere den Rosselenker. Ursprünglich = hör! diente das Wort, um besagtem dienstbaren Geist zu beschwören, dann wurde es mißverständlich zum beugungsfähigen Hauptwort erhoben, z.B. wir hatten eine Prügelei mit den Kullen, ich mietete mir einen Kullen, diente wohl gar als Schimpfwort = Bauer.
Dorpater Studentendeutsch 1921, 194
Ebenso selten sind in der Studentensprache Ausdrücke estnischer Herkunft. Allgemein gebräuchlich und zweifellos vom Studenten geprägt ist der Gattungsname „Kulle“ für einen estnischen Bauer, insbesondere den Rosselenker. Ursprünglich = hör! diente das Wort zur Beschwörung des besagtem dienstbaren Geistes, dann wurde es mißverständlich zum beugungsfähigen Hauptwort erhoben und war wohl gar ein Schimpfwort (Bauer).
Masing 1924-1926, 404f.
4) Kulle (= 1), 2) [= Fuhrmann]). Studentisch. Vgl. I, 13). Auch in Zusammensetzungen: Ükskulle, Kakskulle = „Einspänner, Zweispänner“, estn. üks „eins“, kaks „zwei“, Nachtkulle „Droschkenkutscher letzter Güte“, Schinderkulle „Lastfuhrmann“. Die beiden letztgenannten Ausdrücke waren in den 90er Jahren in der „Fraternitas Rigensis“ üblich.)
13) Kulle (= Este, estnischer Bauer. Diese Bezeichnung stammt vermutlich aus der Studentensprache, und zwar scheinen des Estnischen unkundige dörptsche Studenten den estnischen Imperativ kule = „höre!“ als Gattungsnamen auf die Personen übertragen zu haben, denen die Anrede gilt bezw. von denen sie gebraucht wird - ähnlich wie die deutschen Soldaten während des Weltkrieges den nichtdeutschen Bauern mit der polnischen Anrede panie „Herr“ › Panje bezeichneten. - In der Sprache der dörptschen Studenten wird das Wort übrigens auch in engerem Sinn = „Fuhrmann“ gebraucht, s. o.)
Kiparsky 1936, 47f., 27
Kulle [kulə] m. 'scherzweise Benennung eines Esten' ‹ estn. kulle (2. Sg. Imperat. von kullema 'hören')
Diese Zusammenstellung, zu der sich semasiologische Parallelen in d. Panje- (im Weltkriege; ‹ poln. panie! 'Herr!') und vielleicht finn. hurri 'Schwede' (‹ schwed. hörra! ‹ hör, du!“; oder ‹ schwed. huru? 'wie?') finden, ist schon von Gutzeit II, 114, Suolahti 111, Masing Schelten 404 erkannt worden, doch ist man stets von estn. kuule (von kuulma) als Quelle ausgegangen. Lautlich passt besser das dörptestnische kulle (von kullema).
Sowohl das Simplex wie auch die Komposita Kullenvolk, Marktkulle, Nachtkulle 'Droschkenkutscher letzter Güte', Schinderkulle 'Lastfuhrmann' sind auf E. und EL., vor allem Dorpat, beschränkt, kommen aber im Munde ehemaliger Dorpater Studenten natürlich auch anderweitig vor, wie der von Gutzeit N89 52 zitierte Beleg aus dem „Petersburger Herold“ beweist.
[im lett. Gebiet entspricht diesem Wort „Kusche“]
Hueck-Dehio 1955, 87
"... während Baron Baer an einem Fenster stand und den Bahnsteig vergeblich nach einem diensteifrigen Kullen absuchte.“
Vegesack 1957, 13
der Kulle - lett. Bauer
Vegesack 1963, 64, 313
der Kulle - der Lette
der lettische Kulle
Nottbeck 1987, 51
Kulle (est.) - unmanierlicher Mensch / E.K.L.R.
Er ist zwar ein Kulle aber sonst ganz nett.
Kobolt 1990, 166
Kulle m abfällige Bezeichnung für einen ungebildeten Esten. Die Herkunft ist unklar.
►
QUELLEN (
Informanten)
Hoffmann, Gjert: Reval
Kulle, der, = ungebildeter Este, estnischer Arbeiter. Estland.
Kerkovius, Martha: Riga
Kulle(n) verächtliche Bezeichnung f. Letten
'einspännige Droschke' Dorpat